Unsrere Kirche
Vom Tannenberg her hat man einen schönen Blick auf die weiße Kirche, die an einen mächtigen Schiffsrumpf erinnert. Wie eine moderne Arche prägt die Klemenskirche das Stadtbild im Böblinger Osten, gebaut für die vielen Hundert Vertriebenen, die hier nach dem zweiten Weltkrieg neue Heimat fanden. St. Bonifatius war mit seinen 220 Sitzplätzen (trotz fünf Gottesdiensten am Sonntag) zu klein geworden. Als Patron der neuen Böblinger Kirche wünschte sich Bischof Carl Joseph Leiprecht damals einen volkstümlichen Heiligen – den Priester und Großstadt-seelsorger Klemens Maria Hofbauer.
Der Eingang der Kirche öffnet sich zur Feldbergstra-ße hin. Vom großzügig angelegten Kirchplatz her fällt der Blick auf eine auffällige Portalwand. Prof. Gerlinde Beck holte mit der Kreuzform an den Portaltüren den Innenraum mit nach außen. Farbbetonung und Linienführung erzielen bei geöffnetem Mittelportal eine Sogwirkung in den Kirchenraum hinein.
Innen wiederholt sich diese Wirkung durch den Muschelkalkfußboden, der zum Altar hin leicht abfällt und durch den ungewöhnlichen parabelförmigen Grundriss. Die geschwungene Form verlängert die am Kreuz ausgebreiteten Arme Jesu in die Gemeinde hinein. Im Brennpunkt präsentieren sich die liturgischen Orte: Taufstein, Altar und Ambo, einheitlich gestaltet von Bildhauer Gerhard Tagwerker. Die in den Ambo gemeißelten Buchstaben sind die ersten Worte aus dem Buch Genesis: „Im Anfang“ in den drei biblischen Sprachen: hebräisch, griechisch und lateinisch.
Mit dem zentralen Kreuz in aufwändiger Mosaiktechnik ist Otto Habel (1922-1996) eine besondere Synthese gelungen. Einerseits ist der gekreuzigte Heiland ganz in romanischer Tradition als Sieger über den Tod dargestellt: Das Gold symbolisiert Ewigkeit, in himmlischem Licht mit majestätischer Würde scheint der Christus gleichsam zu schweben, die Arme weit ausgebreitet, so als wolle er die ganze Welt umarmen und in seine Erhöhung mit hineinnehmen. Andererseits lastet auf seinem Kopf eine Dornenkrone und die blutroten Steine stellen seine Wunden überdeutlich heraus, sein Körper wirkt ausgemergelt und zerbrechlich und ist ein Verweis auf das Leiden Jesu Christi, das Habel auf der rechten Wandseite mit dem Kreuzweg entfaltet hat.
Die freitragende Betondecke erlaubt einen säulenfreien Kirchenraum. Nichts stört den Blick zum Altarraum hin. Decke, Wände und die konzentrisch angeordneten Sitzbänke sind in schlichten Grau- und Weißtönen gehaltenen und lassen die liturgischen Farben und das Geschehen im Altarraum in besonderem Maße zur Geltung kommen.
Was uns heute so vertraut und schön erscheint, wirkte bei der Einweihung der Kirche am 27. September 1959 allerdings sehr gewöhnungsbedürftig auf die neuen Gemeindemitglieder. Architekt Eberhard Steim aus Stuttgart hatte mit der Klemenskirche innerhalb eines Jahres ein für die damalige Zeit sehr fortschrittliches Werk bauen lassen. In die Amtszeit von Pfarrer Helmut Streit fiel die überraschend langwierige Renovierungszeit. 1996/1997 musste die Klemenskirche wegen der Sanierung der Betonträger in der Decke für 16 Mo-nate komplett geschlossen bleiben, was zu einer Belebung der ökumenischen Beziehung zur Martin-Luther-Gemeinde führte, die sehr gastfreundlich ihren Kirchenraum zur Verfügung stellte. Neben den technisch notwendigen Reparaturen wurden auch liturgisch sinnvolle Veränderungen initiiert, wie die Neugestaltung des Altarbereiches, die Verlegung des Taufbeckens von der Raumrückseite in den Altarbereich, die Gestaltung eines kleineren Ambos, der Einbau des Beichtzimmers und eben das neu gestaltete Portal durch Gerlinde Beck.
Die Seitenkapelle links mit flexibler Bestuhlung wird vor allem für kleinere Gottesdienste genutzt. Nach vorne geht der Blick zum Tabernakel, die Rückseite wird durch das Glasmosaikfenster von Luitgard Chountras-Müller geprägt. Ihre Darstellung greift einen Satz aus dem 1. Petrusbrief auf: “Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Zu erkennen sind Kreuz, Hammer, Nägel, Lanze und der Schwamm mit Essig.
Der Taufstein (Tagwerker, 1964) im Altarraum, bietet dem Auge des Be-trachters eine detailreiche Darstellung von Szenen aus dem AT und NT: „Mose und das Volk Israel auf dem Weg durch das Rote Meer“ und die „Taufe Jesu am Jordan“. Der Bronzezierdeckel zeigt Themen aus dem Schöpfungsbericht, sowie die päpstlichen Insignien.
Wendet man sich wieder dem Ausgang der Kirche zu, fällt der Blick auf die Gebetssäule an der Beter fast täglich neue Fürbitten und Anliegen formulieren und anheften. Auch für viele Schüler der nahegele-genen Eichendorffschule ist die kleine Kapelle mit der Marienstatue (ebenfalls von Tagwerker) ein Ort zum Verweilen. Vielleicht geht hier der Wunsch von Frau Beck bei der Wiedereröffnung der Klemenskir-che am meisten in Erfüllung: „Ich wünsche allen Ge-meindemitgliedern, dass sie in ihrem neuen Kirchenraum ihre Herzen noch weiter zu öffnen vermö-gen, als das Einzugsportal geöffnet werden kann“.
Bernd Müller, Christiane Dengler-Kless